[...] Auf den Mienen der Erstickten war meist ein stiller Friede ausgebreitet [...]
p Essen, 11. Mai. Heute Vormittag verbreitete sich hier schnell die Schreckenskunde von einem gräßlichen Grubenunglück, wie es seit der Katastrophe auf Zeche „Neu-Iserlohn“ bei Langendreer im Bereich des rheinisch-westfälischen Oberbergamtsbezirks Gott sei Dank nicht mehr vorgekommen ist. Auf Zeche „Pluto“ bei Wanne war gestern abend 20 Min. vor 9 Uhr eine Explosion schlagender Wetter erfolgt, welche mit einem Schlage 59 Menschenleben dahinraffte. Nachmittags 2 Uhr waren ca. 330 Mann angefahren. Die Arbeit ging flott von statten und bald nahte das Ede der Schicht, da stiegen aus dem Förderschacht eigentümliche Dämpfe herauf, die Böses ahnen ließen. Einige Male ging der Förderkorb nach auf und nieder, bis endlich die bange Ahnung zur Gewissheit wurde. Auf der 3. Sohle, in der Grundstrecke des Flötzes Nr. 8, hatten sich auf eine bis jetzt noch unaufgeklärte Weise die Wetter entzündet, die Nachschwaden zogen hierauf in die 2.Sohle und hier hielt der Tod unter den in voller Arbeit begriffenen Bergleuten eine schreckliche Ernte. Eine schnelle Rettung war bei dem starken Andrang des vom Luftstrom getriebenen Schwadens nicht möglich, obgleich von Herrn Bergrat Barth, dem Direktor der Zeche, die umfassendsten Rettungsmaßregeln sofort angeordnet worden waren. Der Mehrzahl der Mannschaft gelang es glücklicherweise sich zu retten, da mehrere Teile der Grubenbaue von den Schwaden nicht berührt wurden, auch gelang es, acht bereits bewusstlos vorgefundene Arbeiter aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien und ins Leben zurückzurufen. Aus der 3. Sohle wurden, wie wir hören, 18 tote und verbrannte Bergleute zu Tage befördert, 12 schwer verwundete wurden in das katholische Krankenhaus in Gelsenkirchen gebracht und 5 leicht Verbrannte der Pflege ihrer Familien überlassen. Die auf der 2. Sohle Aufgefundenen waren sämtlich erstickt. Die meisten der Verunglückten sind Polen, welche in der Menage der Zeche wohnten, 27 waren verheiratet, welche über 90 Waisen hinterlassen sollen. Der Revierbeamte, Herr Bergrat Bögehold, war bereits morgens 8 Uhr von Herne auf der Unglücksstätte eingetroffen. Bald darauf fanden sich die Herren Berghauptmann Prinz v. Schönaich-, Oberbergrat Runge und mehrere Mitglieder des Oberbergamts in Dortmund ein, welche die sofort nach der Explosion wieder wetterfrei gewordenen Baue befuhren. Nur in der Grundstrecke des Flözes Nr. 3 trat eine größere Anzahl von Brüchen der Befahrung entgegen. Im Lauf des Vormittags langten auch der Erste Staatsanwalt, Herr Schlüter, und die Herren Dr. Natorp und Richard Eichhoff, letztere als Mitglieder des Verwaltungsrats, aus Essen auf dem Zechenplatze an. Unter den Verunglückten ist der allgemein beliebte Steiger Schulte ein Opfer seiner Pflicht geworden. Im Begriff, mit Hintansetzung seines Lebens zu der am meisten gefährdeten Stelle vorzudringen, wurde er von den giftigen Gasen ereilt. Er hinterlässt, wie gesagt wird, eine Frau und acht Kinder. Ehre seinem Andenken! Ferner wurden uns als verunglückt genannt die Fahrhauer Ervener und Beckmann, sowie der Knappschaftsälteste Funke. Die Förderung ist während des ganzen heutigen Tages eingestellt worden. Über die Entstehungsursache des Unglücks ist, wie erwähnt, bis jetzt nichts ermittelt worden. Von Bergleuten selbst, die mit angefahren waren und dann dem Rettungswerk sich beteiligt hatten, wurde uns versichert, dass stets die größten Vorsichtsmaßregeln getroffen worden seien. Ebenso sprachen sich dieselben über die Umsicht und Energie der Grubenbeamten sehr anerkennend aus. Herr Bergrat Barth fand sich im Laufe des Tages mehrmals an dem Zechengebäude ein, um die Leute zu beruhigen und die hin und wieder erscheinenden Hinterbliebenen der Verunglückten zu trösten.
Bei unserm Eintreffen auf dem Zechenplatz fanden wir den selben von einer schweigenden, tief ernst gestimmten Menschenmenge besetzt, welcher Nachmittags die Besichtigung der Toten nicht mehr gestattet war. In dem an das Zechenhaus angrenzenden Magazin waren fünf der Verunglückten auf Stroh gebettet. Unter diesen befand sich die Leiche eines bis fast zur Unkenntlichkeit Verbrannten, von dem erzählt wurde, dass er durch die Kraft der Explosion eine weite Strecke fortgeschleudert worden sei. In der dem Magazin gegenüberliegenden Schreinerei zählten wir mehr als 30 Leichen, die übrigen waren in dem unter dem Zechenhause befindlichen Keller untergebracht. Zum Teil grässlich entstellt waren nur die Gesichter der Verbrannten. Auf den Mienen der Erstickten war meist ein stiller Friede ausgebreitet, woraus sich erkennen ließ, dass ihr Ende ein schnelles und unbewusstes gewesen sein muß. Nur hie und da deuteten die zusammengezogenen Hände einen kurzen Todeskampf an. Von einigen während des Unglücks in der Grube beschäftigt gewesenen Arbeitern wurden einige rührende Züge von opferwilliger Hilfsbereitschaft erzählt. So gelang es zwei Bergleuten durch wiederholtes Vordringen, drei ihrer Kameraden zu retten, welche sich später wieder erholten. Ein Vater, der seinem betäubten Sohne zu Hilfe kommen wollte, sank mit diesem zusammen und beide wurden ein Opfer des Todes.
Angesichts dieses neuen Unglückes wird es eine Pflicht der Mildtätigkeit sein, den ersten Schmerz der vielen Hinterbliebenen der Verunglückten so schnell als möglich lindern zu helfen. Möge sich deshalb die werkthätige Liebe auch hier wieder in ihrem schönsten Lichte zeigen.

Verantwortlicher Redakteur Jul. Bädeker in Essen. – Druck und Verlag von B. D. Bädeker in Essen.

Bergbau-Archiv Bochum 41 / 1564