Deutsche Kommission geht nach Mailand – Arbeitsverträge Voraussetzung
für den Antransport – 50 DM ab Grenze
Düsseldorf, 18.11. – Nachdem sich die lange Zeit abwehrende Haltung
des Bundesarbeitsministeriums und der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung
in Nürnberg gewandelt hat und somit den Erfordernissen des Wirtschaft
Rechnung trägt, ist nun damit zu rechnen, daß das bereits Mitte
Juli 1955 paraphierte deutsch-italienische Abkommen zur Anwerbung italienischer
Arbeitskräfte für den Bedarf der Bundesrepublik zu Beginn des Jahres
1956 unterzeichnet wird. Die Durchführung des Abkommens obliegt der Bundesanstalt
in Nürnberg, die alle Vorkehrungen getroffen hat, um in Kürze die
Verbindung mit den italienischen Stellen aufzunehmen. Eine Anwerbungskommission
ist zusammengestellt worden und ebenso sind die Voraussetzungen für die
Vorbereitungen in Italien geschaffen.
Sitz der Kommission wird Mailand sein. Sie dürfte ihre Tätigkeit
schon bald aufnehmen, so daß die geworbenen Arbeitskräfte zu Beginn
der Saison, also etwa im März 1956, zur Verfügung stehen. Der Kommission
gehören Spezialisten an, die die Bewerber auf berufliche und gesundheitliche
Qualifikation prüfen. Ebenso sind auch Vorkehrungen getroffen worden,
um das Einsickern krimineller Elemente zu verhindern. Da die deutsche Anwerbungskommission
auf die Konkurrenz Schweizer, belgischer und holländischer Kommissionen
treffen wird, wäre es sicherlich schon besser gewesen, wenn die offiziellen
stellen ihren Widerstand gegen die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte
früher aufgegeben hätten, so daß man bereits in diesem Jahre
die Werbung in der jetzt vorgesehenen Form hätte aufnehmen können.
Deutsche Arbeitgeber, die italienische Arbeitskräfte einstellen möchten,
werden ihren Bedarf der Bundesanstalt in Nürnberg zweckmäßigerweise
über die örtlichen Arbeitsämter und unter Einschaltung der
zuständigen Arbeitgeberverbände melden. Bei größeren
Anforderungen können sie sich auch direkt an die Kommission in Mailand
wenden, die mit modernen Nachrichtenmitteln (wie Fernschreiber) ausgestattet
sein wird. Die deutschen Stellen geben ihren Bedarf nach Berufsgruppen geordnet
an die italienischen Stellen weiter, die ihrerseits unter den Bewerbern eine
Vorauswahl treffen wird. Den deutschen Arbeitgebern ist auch die Möglichkeit
gegeben, ihre Entscheidung über die Einstellung am Ort der Tätigkeit
der Kommission zu fällen. Der Arbeitsvertrag muß, vom deutschen
Arbeitgeber unterschrieben, bereits in Italien ausgehändigt werden, da
er eine Voraussetzung für den Antransport ist.
Die Kosten für die Anreise haben ab italienischer Grenze die deutschen
Arbeitgeber zu tragen. Da es sich um Sammeltransporte handeln wird, werden
sich diese Kosten pro Arbeiter auf etwa 40 bis 50 DM belaufen. Neben den Reisekosten
sind darin eingeschlossen Reiseverpflegung, Anwerbungskosten und die Rückreisekosten
für vorzeitig krank werdende Arbeiter. Die nach Ablauf des Arbeitsvertrages
entstehenden Rückreisekosten zahlt in der Regel der Arbeiter, es sei
denn, daß der deutsche Arbeitgeber diese Kosten freiwillig übernimmt.
Italiener, die im Besitz langfristiger Arbeitsverträge (über 6 Monate)
sind, können die Nachführung ihrer Familien beantragen, wenn sie
den Nachweis ausreichenden Wohnraums erbringen. Die zuständigen Stellen
werden diese Anträge laut Abkommen wohlwollend prüfen. Zu klären
sein wird noch die Zahlung des Kindergeldes. Hinsichtlich der Arbeitslosenunterstützung
ist die Existenz des deutsch-italienischen Abkommens über die Arbeitslosenversicherung
vom 5.5.1953 zu berücksichtigen.
Es dürfte nicht damit zu rechnen sein, daß eine große Zahl
von Facharbeitern in Italien anzuwerben ist. Man wird versuchen, in erster
Linie norditalienische Arbeiter zu verpflichten in der Annahme, daß
es den italienischen Stellen gelingt, dadurch entstehende Lücken auf
dem oberitalienischen Arbeitsmarkt durch eigene Kräfte aus dem Süden
des Landes aufzufüllen. Die Zahl der Anforderungen deutscherseits ist
noch nicht abzuschätzen. Ursprünglich wurde in Verhandlungen zwischen
dem Bundeswirtschaftsminister und der italienischen Regierung von 100 000
Arbeitskräften gesprochen. Man wird deutscherseits die Anforderungen
den italienischen Stellen in Raten bekanntgeben. Zunächst werden sich
diese Anforderungen wahrscheinlich auf eine größere Zahl von Bauarbeitern,
aber auch auf Landarbeiter, beziehen. Der Erfolg der deutschen Bemühungen
gegenüber Kommissionen anderer Länder dürfte nicht allein von
den günstigen deutschen Arbeitsbedingungen bestimmt sein, sondern auch
von der Anziehungskraft, die Deutschland traditionell auf italienische Kräfte
ausgeübt hat. Bei der ganzen Aktion handelt es sich im wesentlichen um
einen saisonalen Spitzenausgleich, der dazu beitragen dürfte, die großen
Schwankungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt in bezug auf die winterliche Arbeitslosigkeit
zu mildern.
Quelle: Bergbau-Archiv Bochum, 8/383