[...] man verpflanzt ein Stück Italien an den Niederrhein und wird sich dann mitten im „Kohlenpott“ der italienischen bella maniera di vivere freuen dürfen [...]

Im westdeutschen Kohlenbergbau ist man auf italienische Arbeitskräfte nicht allzu gut zu sprechen. Man hat es oft mit ihnen versucht, weil Bergarbeiter nun einmal Mangelware sind – aber am Ende gab es immer Enttäuschungen.
Enttäuscht waren aber auch die Italiener: sie konnten sich nicht an die deutsche Bergmannskost gewöhnen; fern von ihren Familien, vereinzelt unter anderssprechenden Menschen, packte sie das Heimweh; und meist schon nach kurzer Zeit kehrten sie den deutschen Kartoffelschüsseln und der Arbeit den Rücken.
Bei der Bergwerksgesellschaft Walsum hat man sich trotzdem entschlossen, demnächst in großem Umfang Italiener einzustellen. Man ist zu der Überzeugung gekommen, daß die Schuld für das Scheitern früherer Versuche auf deutscher Seite zu suchen ist.
Bisher, so meint man in Walsum, hat man den Fehler gemacht, die Italiener schlechthin als „Arbeitskräfte“ zu importieren. Menschliche Arbeitskraft aber ist schließlich keine technische Einheit, die – wie die PS-Leistung einer Maschine – immer und überall verfügbar ist. Man darf von den Arbeitern keine befriedigenden Leistungen erwarten, wenn man nicht Lebensbedingungen schafft, unter denen sie sich wohl fühlen.
In Walsum sollen sich die Italiener wie zu Hause fühlen. Man baut ihnen Wohnungen in Form einer geschlossenen Siedlung: ein richtiges Italienerdorf, mit Schule und Kirche. Dann erst will man nach und nach im Laufe von zwei Jahren etwa tausend Arbeiter aus Norditalien holen – und zwar zusammen mit ihren Familien. Ein regelrechtes Umsiedlungsprojekt also: man verpflanzt ein Stück Italien an den Niederrhein und wird sich dann mitten im „Kohlenpott“ der italienischen bella maniera di vivere freuen dürfen.
Ein schöner und eigentlich naheliegender Gedanke. Es bedarf wohl keines volkswirtschaftlichen Studiums, um einzusehen, daß den italienischen Vätern die Arbeit unter Tage leichter von der Hand geht, wenn oben ihre bambini spielen, wenn zum Abendessen Spaghetti und eine Flasche Chianti auf dem Tisch stehen.
Einwände gegen das Projekt erheben noch die deutschen Kumpels und die Herren vom Betriebsrat. Man fürchtet, daß die Italiener die Löhne drücken. Aber gerade in Walsum scheint diese Gefahr gering zu sein. Einmal liegen die Löhne hier ohnehin über dem Durchschnitt, und außerdem wird dort im Akkord gearbeitet, also nicht die Arbeitszeit, sondern die Leistung bezahlt.

Institut für Zeitungsforschung, Dortmund