In der deutschen Öffentlichkeit, bei Politikern, Unternehmern und
Gewerkschaften, herrschte in den 1950er Jahren große Besorgnis über
eine mögliche kommunistische Infiltration durch italienische Arbeiter
in Deutschland.
In Italien hatte die Kommunistische Partei seit Ende der 1940er Jahre eine
starke Position. Dieser italienische Kommunismus, so befürchtete man
in der Bundesrepublik während der Hochphase des „Kalten Krieges“,
könnte durch die italienischen Einwanderer auch nach Deutschland getragen
werden und die deutsche Arbeiterschaft beeinflussen. Außerdem gab
es Bedingungen, dass Vertreter der italienischen kommunistischen Partei
versuchen könnten, unzufriedene Italiener in deutschen Betrieben oder
in den Wohnlagern aufzuwiegeln.
Um diese „kommunistische Infiltration“ zu verhindern, gab es
konkrete Überlegungen, in der Anwerbekommission in Verona nicht nur
eine gesundheitliche, sondern auch eine politische Eignungsuntersuchung
durchzuführen, eine so genannte „Sicherheitsüberprüfung“.
Allerdings ließ sich eine solche Überprüfung in der Praxis
kaum durchführen, es fehlte an Personal. Außerdem gab es vor
dem Hintergrund der Europäischen Gemeinschaft auch rechtliche Bedenken
an einer solchen Auswahl bei der Anwerbung.
Insgesamt ist die Gefahr des italienischen Kommunismus in der Bundesrepublik
wohl stark überbewertet worden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
dokumentierte in einem längeren Artikel 1962 die öffentliche Diskussion
und kam dabei zu folgender Einschätzung:
„[...] Stimmt es nicht, daß rund ein Drittel
der italienischen Wählerschaft Kommunisten sind, daß die überwiegende
Mehrheit der italienischen Arbeiter gerade aus den armen Landstrichen Mittel-
und Süditaliens, von den Inseln Sardinien und Sizilien kommt? Importieren
wir also, mit anderen Worten, nicht auch den italienischen Kommunismus,
und zwar noch zu einem höheren Satz als jenem Drittel der gesamten
italienischen Wählerschaft? Und sind diese von ihren Familien getrennten
Männer im fremden Lande, die manchmal nichts Rechtes mit ihrer freien
Zeit anzufangen wissen und in den Arbeiterwohnheimen sich bequem organisieren
ließen, nicht geradezu ein ideales Feld für konspirative Tätigkeit?
Ein Teil dieser Fragen ist falsch gestellt. Dazu gehört der Bezug auf
die italienischen Wählerstatistik. Natürlich sind unter den italienischen
Arbeitern kommunistische Wähler. Aber die italienische Kommunistische
Partei ist in den ausgesprochen armen Landschaften Italiens keineswegs so
stark wie im industriellen Norden und dem berühmten kommunistischen
Gürtel des nördlichen Mittelitaliens. Die italienische KP hat
ihren festen Rückhalt nicht bei den ungelernten Arbeitern, sondern
in der Grenzschicht zwischen Facharbeiterschaft und Angestellten.
[...]
In einer Zeche im Ruhrgebiet ist eine Gruppe italienischer Arbeiter, von
denen viele aus zwei oder drei als kommunistisch bekannten Dörfern
stammen. Trotzdem scheint ihr Kommunismus suspendiert zu sein, solange sie
in Deutschland sind. Sie wissen, daß es sich nicht lohnt. Das ist
eine einfache Rechnung. Deutsche Politik interessiert sie nicht. Deutsche
Verhältnisse wollen und können sie nicht verändern. Und auf
die italienischen haben sie keinen Einfluß, solange sie hier sind.
Also sind sie politisch im Wartestand, und die Abgesandten des CGIL, der
italienischen KP, oder die deutsche illegale KP bringen sie da nicht heraus.
Immer wieder hört man die Antwort, sie seien nach Deutschland gekommen,
um möglichst rasch möglichst viel Geld zu verdienen. Deshalb auch
der Eifer, Überstunden zu machen. Aber Politik ist nicht gefragt, und
die Versuche einzelner weniger, in Protestversammlungen italienische Arbeiter
zur Verbesserung eines akuten Übelstandes parteipolitisch zu mobilisieren,
sind von den Arbeitern selbst zurückgewiesen worden.
[...]
Günther Gillessen: Die italienischen Gastarbeiter und der Kommunismus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.4.1962