Zehn Jahre nach Kriegsende suchte der Bergbau im Ruhrgebiet erneut dringend Arbeitskräfte. Die Zechen des Ruhrgebiets waren einer der wichtigsten „Motoren“ für den wirtschaftlichen Wiederaufbau in Deutschland. Die Kohle wurde als Energielieferer dringend benötigt. Massenhaft warben die Betriebe Flüchtlinge und Vertriebene für den Bergbau an, um ihren Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Der Bergbau bot materielle und finanzielle Sicherheit und vor allem Wohnungen – in den zerstörten Städten absolute Mangelware.
Das anhaltende Wirtschaftswachstum seit Anfang der 1950er Jahre – das so genannte „Wirtschaftswunder“ – und der Fortschritt im Wiederaufbau sorgten dafür, dass es bald in fast allen Industriebranchen freie Arbeitsplätze gab. Die schwere und gefährliche Arbeit im Bergbau verlor vor diesem Hintergrund für viele Arbeiter an Attraktivität. Sie suchten sich lieber gut bezahlte Arbeiten in anderen Branchen. Die entstehenden Lücken in den Belegschaften konnten die Zechen auf Dauer über den deutschen Arbeitsmarkt alleine nicht schließen.
Vor dem Hintergrund der guten diplomatischen Beziehungen beider Staaten erschien es als eine geeignete Lösung, Arbeitskräfte aus Italien anzuwerben. Zudem konnte man auf Erfahrungen aus der Anwerbevereinbarung zwischen Deutschland und Italien von 1937 aufbauen.
Nicht nur im Bergbau machte man sich verstärkt Gedanken über den Arbeitsmarkt in Deutschland. Vor allem in der Landwirtschaft zeichnete sich bereits Mitte der 1950er Jahre langfristig ein Arbeitskräftemangel ab. Die Prognosen wurden durch die Debatte um die Wiederbewaffnung und den Wehrdienst in der Bundesrepublik noch verschärft. Unter Federführung des Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard gab es 1954 konkretere Überlegungen, Italiener für die Arbeit in Deutschland anzuwerben. Es gab jedoch in der Bundesrepublik Stimmen, die sich gegen eine Anwerbung von Italienern aussprachen. Auf Erhards Ankündigung, Verhandlungen mit der italienischen Regierung aufnehmen zu wollen, gab es direkt eine Gegenerklärung aus dem Bundesarbeitsministerium. Minister Storch, aber auch Vertreter der Vertriebenenverbände wiesen auf die strukturelle Arbeitslosigkeit in einigen Regionen Deutschlands hin. Zunächst müssten arbeitslose Deutsche aus Regionen ohne Arbeitsplätze in die Regionen und die Branchen innerhalb der Bundesrepublik, in denen Arbeiter fehlten, vermittelt werden. Solange nicht alle Deutschen eine Arbeitsstelle hatten, sollten keine Ausländer angeworben werden. Diese Position wurde auch von Gewerkschaftsseite vertreten.

Gegenpositionen der Gewerkschaften

Vehement sprachen sich die deutschen Gewerkschaften gegen die gezielte Anwerbung von Italienern für den deutschen Arbeitsmarkt aus. Sie befürchteten, dass die ausländischen Arbeiter für geringere Löhne beschäftigt werden könnten und damit die deutschen Tarifverträge unterlaufen würden. Innerhalb der Industriegewerkschaft Bergbau gingen die Überlegungen sogar noch weiter: Ein Mangel an Arbeitskräften könnte die Position der Bergleute soweit stärken, dass Forderungen wie Steuerfreiheit und 35-Stunden-Woche gegenüber den Bergbauunternehmen durchsetzbar wären. Auch diese Position wäre durch die Anwerbung von Italienern gefährdet. Vordergründig argumentierte die IGB allerdings mit der Grubensicherheit: Mangelnde Deutschkenntnisse stellten eine Gefahr für die Sicherheit unter Tage dar. Außerdem gab es Bedenken wegen der Arbeitsmoral von Italienern:

„[...] Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer italienischer Arbeitskräfte im belgischen Bergbau beträgt rund 1 ½ Jahre. Durch die Anlegung ausländischer Arbeitskräfte würde im deutschen Bergbau ein ständiges Kommen und Gehen einsetzen und eine kontinuierliche Verbesserung des Belegschaftsstandes nicht erreicht werden. [...]“

Italiener retten den Bergbau nicht, in: Die Bergarbeiterindustrie / Organ der Industriegewerkschaft Bergbau, 4. August 1956

Archiv für soziale Bewegungen im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets, Bochum

Aber nur mit einer beständigen Belegschaft ließen sich auf Dauer gewerkschaftliche Forderungen durchsetzen.

Der vergessene Süden Italiens

Auch Italien erlebte in den 1950er Jahren ein „Wirtschaftswunder“. Allerdings fand dieses fast ausschließlich im bereits industrialisierten Norden des Landes statt. Der Mezzogiorno (Süden) einschließlich der italienischen Inseln blieb weitgehend landwirtschaftlich geprägt. Der größte Tei des Landes war noch lange im Besitz weniger Großgrundbesitzer. Eine Agrarreform der Regierung De Gasperi brachte nur wenig Verbesserungen für die kleinen Landbesitzer.
Viele Familien im Süden besaßen zwar Land, konnten aber von den geringen Erträgen nicht leben. Die Suche nach Gelegenheitsarbeiten kilometerweit weg war für die meisten jungen Leute die Regel. Die Heimat auf der Suche nach Arbeit zu verlassen erschien der jungen Generation häufig als einzige Lösung aus der Existenzangst und der fehlenden Zukunftsperspektive im Süden. Für die italienische Regierung bedeutete das Anwerbeabkommen eine gute Möglichkeit, die Auswanderung zu steuern und den sozialen Frieden im Land zu wahren:

„[...] Der Süden wurde zum Reservoir billiger und williger Arbeitskräfte, mit deren Hilfe der Norden sein Wirtschaftswunder vollbrachte, und mit den Geldüberweisungen der Emigranten von jenseits der Alpen und des Ozeans konnten die durch Rohstoff- und Agrarimporte gerissenen Löcher der italienischen Zahlungsbilanz gestopft werden. [...]“

Hausmann, Friederike: Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute, Berlin, aktualisierte Neuausgabe 1997, Seite 61

In den 1950er und 1960er Jahren kamen 67% aller italienischen Emigranten in Deutschland aus Süditalien und von den italienischen Inseln.

Die Anwerbung

Im Herbst 1954 nahmen die deutsche und die italienische Regierung intensivere Verhandlungen über ein zwischenstaatliches Anwerbeabkommen auf. Am 20. Dezember 1955 unterzeichneten Vertreter beider Regierungen schließlich die „Vereinbarung über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland“, das deutsch-italienische Anwerbeabkommen. Die Gewerkschaften konnten sich vor allem im Hinblick auf die Lohnfrage durchsetzen: Die angeworbenen Italiener durften nur zum üblichen Tariflohn beschäftigt werden. Die Anwerbung lief über die Deutsche Anwerbekommission in Verona.

Verona war das Nadelöhr, durch das alle Italiener durch mussten, die Ende der 1950er Jahre mit einem Arbeitsvertrag nach Deutschland reisen wollten. Der Andrang war dementsprechend groß.

„[...] Im Durchschnitt gehen 150 Arbeiter am Tage, die aus allen Gegenden Italiens kommen, durch das Zentrum von Verona. Aus dem Süden kommen vor allen Dingen zahlreiche Landarbeiter. [...]“

Übersetzung eines Artikels aus der Veroneser Tageszeitung „L’Arena di Verona“ vom 14. Juni 1956 Bundesarchiv Koblenz

Viele Italiener empfanden die bürokratische Gesundheitsuntersuchung als entwürdigend. Die Zechen schickten häufig eigene Werksärzte nach Italien, die die Bewerber direkt vor Ort auf ihre körperliche Bergbautauglichkeit untersuchten.
Wer die medizinische Untersuchung bestanden hatte, bekam seinen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag ausgehändigt und fuhr mit dem Zug ins Ruhrgebiet.

Zehn Jahre nach Kriegsende waren es vor allem junge Männer, zwischen 18 und 25 Jahren, die sich für die Arbeit in Deutschland bewarben. Im Gegensatz zur älteren Generation verbanden sie mit Deutschland nicht die Erfahrungen von Zwangsarbeit und Rechtlosigkeit der Militärinternierten. Allerdings wurden sie im Ruhrgebiet direkt mit deutschen Vorurteilen über Italiener, die noch aus der Kriegszeit stammten, konfrontiert.

Anke Asfur, Aachen 2005

Literatur zum Thema:
- Antonio Brancati, Il cammino della storia 3, Firenze, La Nuova Italia, 1998
- Franziska Dunkel / Gabriella Stramaglia-Faggion: "Für 50 Mark einen
Italiener". Zur Geschichte der Gastarbeiter in München, München 2000
- Friederike Hausmann, Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute, Berlin, aktualisierte und erweiterte Neuauflage 1997
- Yvonne Rieker, Ein Stück Heimat findet man ja immer / Die italienische Einwanderung in die Bundesrepublik, Essen 2003